Kommentar: Der Fluch der Analysten oder warum Apple uns nicht mehr überraschen kann

Gedanken zu den letzten Keynotes

Als am Dienstagabend in dieser Woche die neueste Apple-Keynote über den Bildschirm flimmerte und Tim Cook gleich zum Start der überraschend kurzen Präsentation erklärte, man wolle sich heute dem iPad und der Apple Watch widmen, gingen wohl nicht nur mir die Gedanken, „Ach? Wirklich?“ durch den Kopf. Nach der etwa einstündigen Vorstellung der Apple Watch Series 6 und den beiden neuen iPad-Modellen blieb auch bei mir etwas Ratlosigkeit zurück. Unter den Reaktionen der Zuschauer gab es so einige, die sich enttäuscht und gelangweilt von Apples Keynote zeigten. Wo ist der Zauber der früheren Präsentationen hin, das berühmte „One more thing“, das Unbedingt-haben-wollen-Gefühl?

Ich habe nach der letzten Keynote nachgedacht und glaube, zumindest für mich den Grund für den fehlenden Enthusiasmus in mehreren Aspekten ausfindig gemacht zu haben. Vergleicht man die aktuellen Keynotes von Tim Cook, Craig Federighi und Co. mit der One-Man-Show eines Steve Jobs, hat sich in der Zwischenzeit viel getan. Spätestens seit der Corona-Pandemie hat das Tempo der Präsentation rasant zugenommen, viele Features von neuen Produkten werden gar nicht mehr erwähnt. Stattdessen gibt es dröhnend laute, schnell geschnittene, auf Hochglanz polierte Produktvideos. Ich vermisse die ruhige Stimme Jonathan „Jony“ Ives, der die sanft durchs Bild ziehenden Detailaufnahmen neuer iPhones oder iPads mit liebevoller Hingabe zu kommentieren schien. Vorbei scheinen die Zeiten, in denen eine Keynote mehr als zwei Stunden in Anspruch nahm, am Ende sogar noch ein bekannter Musik-Act auf der Bühne war und Steve Jobs wohlmöglich vorher noch sein „One more thing“ ankündigte.


Verantwortlich für diese fehlenden Überraschungsmomente einer Keynote ist meiner Ansicht nach unter anderem die Technologie-Entwicklung, die sich in den letzten Jahren deutlich verlangsamt hat und zumindest derzeit kaum noch nennenswerte echte Innovationen bietet. Das, was aktuell möglich ist, hat es bereits zur Marktreife geschafft. Und so bekommen wir zwar mit jedem neuen iPhone einen schnelleren Prozessor und eine bessere Kamera, aber keine großartigen WOW!-Faktoren mehr geboten. Anderen Herstellern geht es nicht anders: Gerade im Smartphone-Bereich liegen die Flaggschiff-Modelle leistungs- und ausstattungstechnisch sehr nahe beieinander. Es gilt nur noch abzuwägen, mit welchem Betriebssystem man besser zurechtkommt, welches Design man bevorzugt und welche Features man persönlich benötigt.

Die Medienwelt lechzt nach Informationen

Der wichtigste Faktor jedoch, der die aktuellen Apple-Keynotes zu einer langweiligen Hochglanz-Produktshow werden lässt, sind die zahlreichen Analysten, Leaker und selbsternannte Apple-Experten, die schon Wochen oder gar Monate vor einer Keynote mit ersten Prototypen, Spezifikationen und Neuerungen um sich werfen. Personen wie Ming-Chi Kuo, Jon Prosser oder Mark Gurman haben sich mittlerweile einen Namen gemacht und berichten mehr oder weniger wöchentlich über aktuelle Gerüchte. Quellen aus der Zuliefererkette von Apple werden bemüht, Prototypen geschmuggelt oder auch einfach eigene Einschätzungen zum besten gegeben.

Die immer nach Innovationen und bahnbrechenden Neuigkeiten lechzende Medienwelt – und davon können wir von appgefahren uns auch nicht ausnehmen – nimmt diese Mutmaßungen und Leaks nur allzu gerne auf. Man möchte ja schließlich nicht die Katze im Sack kaufen, wenn es dann soweit ist. Das iPhone 12 wird ein neues Design bekommen? Es gibt kein Ladegerät mehr im Lieferumfang? Apple wird sogar vier iPhone 12-Modelle vorstellen? Spannend!

Weniger spannend wird es dann auf der iPhone 12-Keynote zugehen: Hab ichs doch gewusst, sieht ja genauso aus wie auf den Leaks, laaaaangweilig, wo ist die Innovation, Apple? Das Gefühl ist vergleichbar mit einem Weihnachtsgeschenk, das man sich als Kind arg gewünscht hat, aber schon vor Heiligabend wusste, dass es am Abend auf dem Gabentisch liegen wird. Die Vorfreude, die Überraschung, die Begeisterung – sie verschwindet. Natürlich werden auch wir uns beim iPhone 12 wieder wie die kleinen Kinder freuen, die ihr Weihnachtsgeschenk auspacken dürfen. Aber dürfte es nicht doch wieder etwas mehr Überraschung und weniger Informationsflut sein? Manchmal ist Unwissen eben doch von Vorteil – zumindest bei Apple-Keynotes.

Was sagt ihr zu diesem Thema? Wir freuen uns wie immer über eure Kommentare.

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Kommentare 31 Antworten

  1. Ich sehe das ganz genauso. Die Überraschungen werden durch die ganzen Leaks vorweggenommen. Vielleicht solltet ihr bei appgefahren künftig eine Kategorie Spoiler einführen. Damit Nutzer nicht über Leaks oder anderen Vorabinfos informiert werden ?

  2. Das ist leider ein Trend der in der gesamten Technik und IT Szene passiert – das ist genau wie mit den Paparazzi dadurch dass die Bilder gekauft werden ermutigt man sie – freilich muss man auch sagen dass niemand so schnell an die Präsentatorischen Fähigkeiten von Steve Jobs heran kommt

    1. Was mich wundert ist dass im Gegensatz zu früher Apple das anscheinend billigend in Kauf nimmt, denn früher hätte jemand so etwas einmal gemacht und wäre dann auf ewig gebannt gewesen

  3. Ich sehe das wie folgt: Die Technik ist langsam ausgereizt. Da ist kaum noch Platz für Innovationen oder es müsste eine neue Technik her. Bei den Computern für den Hausgebrauch ist auch fast das Ende der Fahnenstange erreicht mit der heutigen Technik. Auch da gibt es überwiegend nur noch Finetuning.

  4. Ich versuche die Hoffnung nicht zu verlieren ich hoffe das sie wenigstens nach Serie 6 optisch die Watch ändern. Ein größeres Display wäre nicht schlecht und wie schaffen andere Smartuhren das sie auf eine Standby Zeit von bis zu zwei Wochen hinkriegen? Wie das nicht Apple schafft?

  5. Alles was ich vorab über neue Produkte weiß, hab ich hier gelesen. Ich wäre euch nicht böse, wenn ihr über sowas nicht mehr berichten würdet, ganz im Gegenteil.
    Denkt doch mal drüber nach. Ohne affiliate-Links habt ihr sowieso kaum Einnahmen mit solchen Artikeln, also was soll’s?

    Und sein wir mal ehrlich, wer wirklich an diesen Gerüchten interessiert ist, der ließt sowieso lieber selbst da, wo ihr nur abschreibt.

  6. Sehr schön geschriebener Artikel. Hat mir gut gefallen und spricht mir aus der Seele. Den Vorschlag von AndiOlli finde ich sehr gut. Auch ich würde eine Rubrik: Leeks und Spoiler bevorzugen.

  7. Ich finde den Artikel auch sehr gut und treffend.
    Die Leidenschaft, mit der Apple in früheren Zeiten seine Produkte vorstellte, ist leider vorbei.

  8. Du hast es auf den Punkt gebracht Mel, seit mindestens 2 Jahren sinkt die Kauflust bei mir und meinem Umfeld immer mehr, zumal die Geräte immer teurer werden. 1200€ und mehr für ein Kamera und Prozessor Upgrade ?? Ich habe mir vor kurzem nochmal ein iPhone 11 Pro Max zugelegt, aber auch nur, weil ich wieder ein größeres Display wollte. So kurz vor der Präsentation eines neuen iPhones wäre dies früher undenkbar bei mir gewesen.

  9. Dann einfach nicht mehr die Glaskugel-Aussagen von Prosser usw. ignorieren. M.E. sind all diese Leute Wichtigtuer, die gerne im Rampenlicht stehen und ein problem mit ihrem Ego haben.
    Solche Aussagen haben auch kaum mehr was mit professionellem Journalismus zu tun. Leider sinkt dann eben dieser auf BILD Niveau, wo erfundene Aussagen einfach 1:1 wieder gegeben werden. Schade, dass ALLE Mac-Nahrichtenportale dies so handhaben.
    Naja, es geht auch um Klicks und Geld … Und die Kundschaft will es ja auch so.

    1. Dann konzentriert euch auf das was ist, wenn ihr darunter selbst leidet. Dass das für euch nicht leicht ist, verstehe ich. Daher finde ich die Idee eines eigenen Gerüchte-Channels nicht schlecht.

  10. Wieso kauft man ohne die ganzen frühen Leaks und Spekulationen die Katze im Sack? Wenn iPhone & Co. dann auf dem Markt sind, kann ich mich immer noch informieren, wie das das neue Teil aussieht und was es alles kann.

  11. Gut zusammengefasst, darüber habe ich auch schon mal gedacht. Habe auch in Betracht gezogen künftig hier die leak Artikel nicht mehr zu lesen, um wieder einen Überraschungsmoment erleben zu können. Andererseits möchte man bei größeren Investitionen gerne wissen, was als nächstes kommt.

  12. Dann fangt doch damit an, nur noch über Fakten zu schreiben statt dieses nervige Clickbait mit Gerüchten, Design Konzepten und wie sich ganze Dreck schimpft.

    Ich klicke solche Artikel oder YouTube Videos weg.

  13. Größer. Schneller. Besser. Der Beitrag spiegelt das wieder, was auch ich denke. Ist eine Sättigung erreicht, die allein schon auf derzeit bestehende technische Grenzen heran reicht, wird der Erwartungshaltung nicht mehr entsprochen. Für Apple fatal, man will das Neue doch genaus erfolgreich verkaufen wie alles Vorherige. Nun aber ist man an Grenzen gelangt. Mein letztes Handy ist über vier Jahre alt, ein iPhone. Funktioniert immer noch, und zwar gut. Also baut Apple auch Qualität, ohne dabei zeitbasierende Sollbruchstellen zu berücksichtigen. Also auch ein Lob.

    Was die Leistung angeht: Alles schick. Ich kann telefonieren, fotografieren, Musik hören, streamen. Was will ich mehr? Und die Leistung der Kamera, da habe ich längst Grenzen erkannt. Kleinste Sensoren sollen die Leistung von ¾ oder gar 1 Zoll Sensoren erreichen? In der Auflösung? Optisch und physisch werden Grenzen deutlich. Da tragen auch keine drei oder vier Linsen zur Verbesserung der Auflösung bei. Die Apple-Produkte sind gut, doch der exorbitante Preis einzelner Geräte ist so nicht mehr zu rechtfertigen.

  14. Aus jedem WOW muss doch mal ein MAU werden (außer Sie bauen mal ein Rasierer mit ein 😉 ./ Top Artikel, top reflektiert: letztendlich geht es nur um Verkaufszahlen und uns glaubens machen sie haben das Rad neu erfunden!

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